15.04.2025

Hochschulen im Wandel: Warum psychische Gesundheit jetzt Chefsache ist

Die psychische Gesundheit der Studierenden an deutschen Hochschulen hat sich in den letzten zehn Jahren signifikant verschlechtert. Ein neues Diskussionspapier des Hochschulforums Digitalisierung (HFD) legt dar, wie groß der Handlungsbedarf ist – und wie Hochschulen aktiv zur Lösung beitragen können.

Daten aus dem TK-Gesundheitsreport 2023 belegen: Der subjektive Gesundheitszustand vieler Studierender hat sich seit 2015 dramatisch verschlechtert. Mehr als ein Drittel fühlt sich emotional erschöpft, 68 % erleben regelmäßigen Stress, 63 % leiden unter Ängsten und Sorgen. Schon vor der Pandemie war diese Gruppe überdurchschnittlich belastet – durch Leistungsdruck, prekäre Lebensverhältnisse, finanzielle Unsicherheit und fehlende soziale Einbindung.

Die psychosozialen Beratungsstellen der Studierendenwerke geraten zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Präsidentin des Deutschen Studierendenwerks, Prof. Dr. Beate Schücking, spricht offen von einer „Mental-Health-Krise an deutschen Hochschulen“.

Psychische Gesundheit ist nicht nur eine individuelle Herausforderung. Hochschulen prägen das soziale Umfeld der Studierenden maßgeblich – und tragen damit institutionelle Mitverantwortung. Strategien, wie sie etwa die Universität Bonn mit ihrem „Healthy Campus“ verfolgt oder die Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau mit integrierten Digital-Health-Angeboten umsetzt, zeigen: Hochschulen können präventiv, unterstützend und innovativ wirken.

Digitale Lehrformate erleichtern vielen Studierenden den Zugang zur Bildung – insbesondere jenen mit chronischen Erkrankungen, Betreuungspflichten oder geringer finanzieller Unterstützung. Gleichzeitig bringt die digitale Transformation neue Herausforderungen:

  • Technostress: Informationsüberflutung, ständige Erreichbarkeit und technische Überforderung beeinträchtigen kognitive und emotionale Ressourcen.
  • Soziale Isolation: Fehlt die informelle Interaktion vor und nach Veranstaltungen, leiden Zugehörigkeitsgefühl und Vernetzung.
  • Digitale Gewalt: Cybermobbing, sexuelle Belästigung oder Kontrollverlust über persönliche Inhalte belasten zunehmend.

Das Diskussionspapier formuliert fünf konkrete Empfehlungen:

  1. (Digital) Wellbeing in Befragungen integrieren: Systematische, anonyme Feedbackinstrumente wie der Bielefelder Fragebogen helfen, Bedarfe frühzeitig zu erkennen.
  2. Digitale Anlaufstellen schaffen: Übersichtlich gestaltete Webseiten und Social-Media-Kanäle bieten schnellen Zugang zu Informationen, präventiven Angeboten und Beratung – ein Beispiel ist das Gesundheitsportal der Universität Würzburg.
  3. Existierende digitale Tools nutzen: Open-Source-Angebote wie „ONYA“ oder universitätseigene Apps wie „Dr. HU“ (HU Berlin) und „Stressdown“ (FernUni Hagen) können individuell angepasst und niederschwellig eingebunden werden.
  4. Strategische Verankerung von Wellbeing: Ein ganzheitliches Gesundheitsmanagement, das sowohl Mitarbeitende als auch Studierende einbezieht, gehört in die Hochschulentwicklung – inklusive interdisziplinärer Steuerungsteams und Bottom-up-Initiativen wie „DigitalChangeMaker“.
  5. Finanzierung sichern: Um Maßnahmen langfristig zu etablieren, sind tragfähige Finanzierungsmodelle gefragt – durch Partnerschaften mit Krankenkassen, Eigenmittel oder Hochschulverbünde.

Die University of British Columbia (Kanada) und die University of Adelaide (Australien) verfolgen bereits umfassende Wellbeing-Strategien, die strukturell und langfristig in die Hochschulkultur eingebettet sind. Auch das europäische Netzwerk EUniWell bindet Wellbeing strategisch in Forschung, Lehre und Hochschulmanagement ein – unter deutscher Beteiligung durch die Universitäten Köln und Konstanz.

Die Okanagan-Charta von 2015 fordert Hochschulen weltweit auf, Gesundheit und Wohlbefinden als zentrales strategisches Ziel zu begreifen. Das Papier des HFD schließt daran an: Wellbeing und Mental Health müssen nicht nur auf die Agenda – sie müssen Teil der DNA von Hochschulen werden.

Nur mit einem systematischen, digital informierten und sozial getragenen Ansatz kann es gelingen, die Studienbedingungen an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen und gleichzeitig psychische Belastungen wirksam zu reduzieren.


Veröffentlicht am von , Fachredakteur

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