Lernen & Selbststudium

Interview mit Study Coach Alba Schlesinger über Prüfungsangst: Ursachen, Auswirkung, Bewältigung & Hilfsangebote

Die Art und Weise, wie Kritik in der Vergangenheit, insbesondere in der Kindheit und Jugend, kommuniziert wurde, hat einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung von Prüfungsangst.

Helena: Alba, du bist Pädagogin, Lernberaterin und Study Coach. Als solche hilfst du Studierenden u. a. dabei, ihre Prüfungsangst zu überwinden. Welche Hauptfaktoren tragen zur Entwicklung von Prüfungsangst bei?

Alba: In meinem beruflichen Werdegang engagiere ich mich in diversen Bereichen wie Lernberatung, Study Coaching und der digitalen Unterstützung von Studierenden über meinen Instagram-Account, was mir ermöglicht, einen umfassenden und nuancierten Einblick in die studentische Thematik zu gewinnen. Dabei beobachte ich regelmäßig, dass Prüfungsangst nicht abrupt auftritt, sondern vielmehr das Ergebnis eines ausgedehnten Entwicklungsprozesses darstellt. Häufig sind sich die Studierenden weder des exakten Auslösers noch der tiefen Wurzeln ihrer Prüfungsangst bewusst, die bisweilen bis in ihre Kindheit zurückverfolgt werden können.

Ein zentraler Faktor, der zur Entwicklung von Prüfungsangst beiträgt, ist die fehlende Trennung zwischen Leistungsbewertung und Selbstbewertung. Kritik an der Leistung wird somit nicht als konstruktives Feedback verstanden, sondern als persönliche Herabwürdigung. Die Art und Weise, wie Kritik in der Vergangenheit, insbesondere in der Kindheit und Jugend, kommuniziert wurde, hat einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung von Prüfungsangst.

Die Haltung des Umfelds, seien es Eltern, pädagogische Fachkräfte oder andere Bezugspersonen, spielt eine entscheidende Rolle. Eine konstruktive Kritikkultur, die zwischen Person und Leistung differenziert und dennoch den Wert des Individuums anerkennt, fördert ein positives Selbstbild. Hier wird Erfolg als solcher gefeiert und Misserfolg als Lernmöglichkeit begriffen – eine Prüfung ist dann lediglich eine Herausforderung und nicht Grund zur Panik.

Im Gegensatz dazu kann eine negative Kritikkultur, die das Kind oder den Jugendlichen als Person abwertet, ein negatives Selbstbild fördern und die Entstehung von Prüfungsangst begünstigen. Typische Beispiele für solch schädigende Äußerungen sind Sätze wie „Du bist zu dumm“, „Du wirst sitzenbleiben“ oder „Warum bist du nicht so gut wie die anderen?“. Wiederholte negative Erfahrungen und die Verknüpfung von Misserfolg mit unangenehmen Konsequenzen wie Taschengeldentzug, Fernsehverbot oder Hausarrest können diesen Effekt weiter verstärken.

Am Ende kann sich ein Automatismus entwickeln, der dazu führt, dass allein der Gedanke an eine Prüfungssituation ausreicht, um eine Angstreaktion auszulösen. So wird die Vorstellung von einer Prüfung zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, die den Teufelskreis der Prüfungsangst weiter verstärkt.

In einigen Fällen kann dies zu einem Teufelskreis führen, in dem die Angst die Lernfähigkeit beeinträchtigt, was wiederum zu schlechteren Leistungen und noch mehr Angst führt.

Helena: Welche Auswirkungen kann Prüfungsangst auf die akademische Leistung und das allgemeine Wohlbefinden von Studierenden haben?

Alba: Ein gewisses Maß an Nervosität vor einer Prüfung ist vollkommen normal und kann sogar leistungsfördernd wirken, indem es die Konzentration und Aufmerksamkeit steigert und die Sinne schärft. Allerdings ist es entscheidend, dass diese Anspannung ein gesundes Maß nicht überschreitet, da sonst die negativen Auswirkungen überwiegen können.

Mit zunehmender Intensität der Angstreaktion verschlechtert sich die Fähigkeit zur Konzentration und zum klaren Denken, was unmittelbare Auswirkungen auf die akademische Leistung haben kann. Die Studierenden können Schwierigkeiten haben, sich während der Prüfung an gelernte Informationen zu erinnern und sind weniger in der Lage, komplexe Aufgaben zu lösen. Dies führt nicht nur zu schlechteren Prüfungsergebnissen, sondern beeinträchtigt auch das allgemeine Wohlbefinden.

Die Prüfungsangst kann sich zudem auch schon vor der Prüfung auf die Effizienz der Prüfungsvorbereitung auswirken. Die Betroffenen können sich gestresst und überfordert fühlen, was es schwierig macht, sich auf das Lernen zu konzentrieren und den Lernstoff effektiv zu verarbeiten. In einigen Fällen kann dies zu einem Teufelskreis führen, in dem die Angst die Lernfähigkeit beeinträchtigt, was wiederum zu schlechteren Leistungen und noch mehr Angst führt.

Langfristig kann anhaltende Prüfungsangst auch zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen, die das allgemeine Wohlbefinden und die Lebensqualität der Studierenden beeinträchtigen.

Helena: Welche bewährten Methoden und Strategien empfiehlst du Studierenden, um ihre Prüfungsangst zu bewältigen und dadurch erfolgreichere Prüfungen abzulegen? Gehe bitte besonders darauf ein, inwiefern Farben bei der Bewältigung dieser Angst eine Rolle spielen.

Alba: Prüfungsangst ist ein facettenreiches Phänomen und variiert stark von Person zu Person. Deshalb ist es entscheidend, individuell angepasste Strategien zur Bewältigung zu entwickeln. Professionelle Unterstützung ist unabdingbar, wenn die Angst so übermächtig wird, dass sie den Alltag lähmt und ein klares Denken unmöglich macht.

Für diejenigen, bei denen die Prüfungsangst in einem mäßigeren Ausmaß auftritt, gibt es eine Vielfalt an Methoden, um diese zu bewältigen und die eigene Leistungsfähigkeit in Prüfungen zu steigern. Die Arbeit an einem positiven Selbstbild und der Wiedererlangung des Glaubens an die eigene Selbstwirksamkeit steht hierbei im Vordergrund.

Eine besonders kreative Methode stellt die Nutzung von Farben dar. Die sogenannte Farbenzauber-Methode nutzt die emotionale Wirkung von Farben, um eine positive Verbindung mit der Prüfungssituation herzustellen. Die Studierenden visualisieren dabei ihren Idealzustand während der Prüfung, verbinden diesen mit einer spezifischen Farbe und integrieren diese Farbe dann bewusst in ihre Vorbereitungs- und Prüfungsphasen.

Das Einbinden der Farbe in den Alltag und insbesondere in Momente, in denen man sich in seinem Idealzustand befindet, stärkt die positive Assoziation und macht die Farbe zu einem mächtigen, visuellen Anker. Dieser Anker kann dann vor und während der Prüfung genutzt werden, um sich zu zentrieren, die Angst zu reduzieren und sich an den Idealzustand zu erinnern. Eine detaillierte Erläuterung des konkreten Ablaufs der Farbenzauber-Methode ist in einem meiner Blog-Beiträge zu finden.

Wichtig ist, diese und andere Methoden nicht als schnelle Lösung zu sehen, sondern sie als Teil eines längeren Prozesses zu verstehen. Die Wirkung entfaltet sich durch wiederholtes Üben und Anwenden. Mit der Zeit können Bewältigungsstrategien wie diese jedoch zu einer wertvollen Ressource werden, die nicht nur in Prüfungssituationen, sondern in vielen Bereichen des Lebens unterstützend wirkt.

Farben transportieren Emotionen: Das eigene (Lern-)Umfeld auch in diesem Sinne positiv zu gestalten, kann zur Bewältigung von Stress und Angst beitragen.

Helena: Wie kann die Gestaltung des Lernumfelds und des Lehrmaterials dazu beitragen, Prüfungsangst zu reduzieren?

Alba: Die Gestaltung des Lernumfelds und des Lehrmaterials spielt eine zentrale Rolle, um Prüfungsangst effektiv zu reduzieren. Hierbei ist es sinnvoll, beide Aspekte gesondert zu betrachten:

Das Lernumfeld sollte idealerweise ausschließlich dem Lernen dienen, um Ablenkungen und potenzielle Stressquellen zu minimieren. Hierbei ist eine angenehme und ruhige Atmosphäre essenziell. Ressourcen-spendende Symbole und gezielt ausgewählte Farben können zusätzlich dazu beitragen, die Lernatmosphäre positiv zu beeinflussen und den gewünschten mentalen Zustand zu fördern. Beispielsweise kann die Wandfarbe oder die Farbgestaltung von Vorhängen, Teppichen oder Mauspads bewusst gewählt werden. Des Weiteren können motivierende Sprüche oder Affirmationen an sichtbaren Stellen im Lernraum platziert werden.

Berücksichtigt werden sollte auch die digitale Dimension der Lernumgebung, insbesondere im Fernstudium. Hierbei gilt es, das digitale Erlebnis beim Lernen positiv zu gestalten. Desktop-Hintergründe, App-Designs und Browser-Einstellungen können bewusst angepasst und Affirmationen digital integriert werden. Apps, die Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit stärken, können ebenfalls unterstützend wirken.

Dagegen sind die Einflussmöglichkeiten auf das Lehrmaterial begrenzter, da dieses in der Regel von der Bildungseinrichtung vorgegeben wird. Hier können dennoch bestimmte Aspekte positiv wirken. Hierzu zählen klar strukturierte Materialien, integrierte Feedback-Mechanismen wie Selbsttests oder Quizfragen, aktive Lernmethoden wie Gruppenarbeit, Diskussionen und praktische Übungen sowie Hilfsmittel zur Erfolgskontrolle und Anregungen zur Selbstreflexion.

Die Kommunikation über Prüfungsangst und das Gefühl, verstanden und unterstützt zu werden, können entscheidend zur Entlastung der Studierenden beitragen.

Helena: Welche Rolle spielt die Unterstützung durch Hochschulen und Dozierende bei der Bewältigung von Prüfungsangst, und welche Ressourcen stehen den Studierenden in dieser Hinsicht zur Verfügung?

Alba: Die Rolle der Hochschulen und Dozierenden kann bedeutsam sein für die Bewältigung von Prüfungsangst. Hochschulen sind zwar an gesetzliche Vorgaben gebunden, können jedoch proaktiv Maßnahmen ergreifen, um Studierenden mit Prüfungsangst zu helfen. Sie können beispielsweise spezielle Beratungsangebote und Foren schaffen, in denen sich Studierende austauschen und Unterstützung finden können. Zudem ist es möglich, Workshops und Seminare zum Umgang mit Prüfungsangst anzubieten. Die Bereitstellung flexibler Prüfungsmodalitäten, die den individuellen Bedürfnissen der Studierenden entgegenkommen, stellt eine weitere wertvolle Ressource dar.

Dozierende können einen bedeutenden Beitrag leisten, indem sie ein offenes Ohr für die Sorgen ihrer Studierenden haben und sich dem Thema Prüfungsangst gegenüber aufgeschlossen zeigen. Die Kommunikation über Prüfungsangst und das Gefühl, verstanden und unterstützt zu werden, können entscheidend zur Entlastung der Studierenden beitragen. Dozierende können zudem durch eine transparente und faire Prüfungsgestaltung sowie durch die Vermittlung von Strategien zur Stressbewältigung und effektiven Prüfungsvorbereitung aktiv zur Reduzierung von Prüfungsangst beitragen.

Die Verfügbarkeit von Ressourcen variiert je nach Hochschule. Neben internen Angeboten wie Study Coaching und Workshops gibt es auch externe Unterstützungsangebote wie Selbsthilfegruppen, Coaching und Training.

Helena: Kannst du bitte ein konkretes Fallbeispiel aus deiner Arbeit teilen, in der du einem/einer Studierenden erfolgreich geholfen hast, seine/ihre Prüfungsangst zu überwinden, und welche Lehren können andere aus diesen Erfahrungen ziehen?

Alba: In meiner Praxis hat sich gezeigt, dass es keine universelle Lösung gibt, um Prüfungsangst zu überwinden, da jeder Studierende seine eigene Herangehensweise benötigt. Einigen hat das Experimentieren mit Farben zusätzliches Selbstvertrauen verschafft, während andere durch positive Affirmationen bedeutende Unterstützung erfahren haben. Einige Studierende haben von der Führung eines Angsttagebuchs profitiert, um ihre Ängste loszulassen und mentale Blockaden zu lösen, während andere durch die Erstellung einer positiven Zeitleiste, die frühere Erfolge in Prüfungssituationen hervorhebt, Fortschritte gemacht haben. Diese und weitere Methoden sind auf meinem Instagram-Account und in meinem Study-Blog  kostenfrei abrufbar. 

Bei einigen war es erforderlich, in die Vergangenheit zurückzugehen und die Ursachen ihrer Prüfungsangst herauszufinden, was sich als entscheidender Wendepunkt erwies. Andere fanden bereits große Erleichterung darin, offen über ihre Prüfungsangst sprechen zu dürfen. Und für manche war es sogar hilfreich, herzhaft über ihre Situation lachen zu können – ja, manchmal kann auch das der Schlüssel zum Erfolg sein.

... für manche war es sogar hilfreich, herzhaft über ihre Situation lachen zu können...

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