Fernstudium & Fernuni

Der Mythos vom Kollaps: Was wirklich hinter den rückläufigen Studierendenzahlen steckt

Seit einigen Jahren mehren sich Schlagzeilen über einen angeblichen Kollaps des deutschen Hochschulmarkts: Sinkende Studienanfängerzahlen, leerere Hörsäle, überforderte Hochschulen. Besonders mit Blick auf die demografische Entwicklung und die G9-Rückumstellung in mehreren Bundesländern scheint der Eindruck nahezuliegen, dass dem System eine tiefgreifende Krise bevorsteht. Doch eine genaue Analyse zeigt: Die Realität ist differenzierter. Der Rückgang ist weder flächendeckend noch dauerhaft – vielmehr deutet vieles auf eine strukturelle Transformation hin. Ich beleuchte hier die zentralen Trends, Einflüsse und Reaktionen auf die veränderte Bildungslandschaft und hinterfrage die These vom „Einbruch“ kritisch und datenbasiert.

Warum der Hochschulmarkt aktuell unter Druck steht

Die Diskussion um den Zustand des deutschen Hochschulmarkts hat an Schärfe gewonnen. In sozialen Netzwerken kursieren Schlagzeilen vom „Einbruch“ des Systems, einzelne Stimmen sprechen sogar von einem bevorstehenden Kollaps. Tatsächlich sind die Studienanfängerzahlen in den letzten Jahren rückläufig: Zwischen 2020 und 2022 sank die Zahl der deutschen Studienanfängerinnen und -anfänger um etwa elf Prozent – von rund 404.000 auf 359.000. Öffentliche Universitäten spüren diesen Rückgang besonders stark, während Fachhochschulen weniger stark betroffen sind.

Auch auf regionaler Ebene zeigen sich Unterschiede. Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen verzeichnen besonders deutliche Verluste. Gleichzeitig berichten einige Berliner Hochschulen von zweistelligen Rückgängen bei Bewerbungen für zulassungsbeschränkte Studiengänge. Parallel dazu sinkt die Studierquote – also der Anteil eines Jahrgangs, der ein Studium aufnimmt – auf etwa 43 Prozent.

Doch diese Entwicklungen sind kein flächendeckender Zusammenbruch. Vielmehr handelt es sich um ein vielschichtiges Phänomen mit zeitlich und regional begrenzten Ursachen. Dazu zählen unter anderem die Rückkehr zu G9 in mehreren Bundesländern, die pandemiebedingte Unsicherheit der letzten Jahre sowie ein Wandel in den Bildungs- und Berufserwartungen junger Menschen.

Dieser Artikel analysiert auf Grundlage aktueller Daten und Studien, welche Faktoren den Rückgang beeinflussen, warum nicht von einem generellen Kollaps gesprochen werden kann – und welche Chancen sich aus der Transformation des Hochschulmarkts ergeben.

Gibt es wirklich einen Kollaps? Eine datenbasierte Einordnung

Studienanfänger/-innen* 1995 bis 2023** nach Hochschulart (Anzahl und in %)
© Nationaler Bildungsbericht 2024

Der Rückgang der Studienanfängerzahlen ist unstrittig – doch die Frage ist, wie tiefgreifend und dauerhaft dieser Trend tatsächlich ist. Nach dem bisherigen Höchststand von rund 520.000 Erstsemestern im Jahr 2011 pendelte sich die Zahl zunächst auf einem hohen Niveau ein. Seit 2019/20 ist jedoch ein moderater Abwärtstrend zu beobachten: 2020 fiel die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger erstmals seit Jahren unter eine halbe Million. Im Zeitraum von 2020 bis 2022 sank die Zahl deutscher Erstsemester um rund 11 Prozent.

Wichtig ist jedoch die Differenzierung nach Hochschultypen: Während staatliche Universitäten teils deutlich rückläufige Anfängerzahlen verzeichnen, sind Fachhochschulen (Hochschulen für Angewandte Wissenschaften) weniger stark betroffen. Private Hochschulen hingegen konnten entgegen dem allgemeinen Trend zulegen – sie steigerten ihre Erstsemesterzahlen im gleichen Zeitraum um rund 50 Prozent. Besonders stark wuchs der Bereich Fern- und berufsbegleitendes Studium, wo die Nachfrage teilweise die Kapazitäten übersteigt.

Die Gesamtstudierendenzahl lag im Wintersemester 2023/24 trotz leichtem Rückgang noch bei rund 2,9 Millionen – zehn Prozent mehr als vor zehn Jahren. Damit befindet sich die Zahl weiterhin auf einem historisch hohen Niveau, was gegen die These eines systemischen Einbruchs spricht. Vielmehr deuten die Daten auf eine selektive Schrumpfung hin: bestimmte Regionen, Fächer und Hochschulformen sind stärker betroffen als andere.

Statt von einem Kollaps sollte deshalb von einer strukturellen Verschiebung gesprochen werden. Der Hochschulmarkt verändert sich – in seiner Zusammensetzung, seinen Formaten und seinen Zielgruppen. Das erfordert eine präzise Analyse statt pauschaler Alarmrufe.

Der demografische Dip – und was danach kommt

Ein zentraler Faktor für die derzeit rückläufigen Studienanfängerzahlen ist die demografische Entwicklung, insbesondere ausgelöst durch schulpolitische Reformen. Die Rückkehr zu G9 – also 13 Schuljahren bis zum Abitur – führt in mehreren Bundesländern zu temporären Einbrüchen bei den Abiturjahrgängen:

  • 2025 fällt in Bayern nahezu ein gesamter Abiturjahrgang weg, da die Schülerinnen und Schüler ein zusätzliches Schuljahr absolvieren müssen.
  • 2026 folgen Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein – hier sinkt die Zahl der Abiturientinnen und Abiturienten in NRW beispielsweise von rund 72.000 auf nur etwa 32.000.
  • Insgesamt bedeutet das einen kurzfristigen Rückgang von ca. 68.000 Hochschulzugangsberechtigten bundesweit.

Dieser Rückgang ist jedoch kein dauerhafter Trend. Laut Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) kommt es ab 2027 zu einem Nachholeffekt: Die Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit Hochschulreife steigt zunächst um rund 14.000 und nimmt anschließend langfristig weiter zu. Bis zum Jahr 2035 wird ein Zuwachs auf etwa 446.000 erwartet – rund 15 Prozent mehr als 2023.

Die regionalen Unterschiede sind dabei erheblich:

  • Westdeutsche Flächenländer verzeichnen ein moderates Plus von etwa 13,9 % bis 2035.
  • Ostdeutsche Bundesländer profitieren sogar von einem Zuwachs von rund 20,5 %.
  • Stadtstaaten wie Berlin oder Hamburg legen um etwa 23 % zu – vor allem durch Wanderungsgewinne und gestiegene Geburtenraten.

Fazit: Die gegenwärtige Entwicklung ist eine vorübergehende Phase, kein dauerhafter Einbruch. Hochschulen müssen jedoch flexibel und regional angepasst auf die demografischen Schwankungen reagieren – etwa durch Kooperationen, neue Zielgruppenansprachen oder spezialisierte Studienangebote.

Studienentscheidung im Wandel: Was die Generation Z wirklich will

Zwischen Studium, Selbstverwirklichung und Smartphone: Die Generation Z trifft Bildungsentscheidungen digital – und nach eigenen Werten.

Neben demografischen Faktoren spielt der gesellschaftliche Wertewandel eine zentrale Rolle für die Veränderungen im Hochschulmarkt. Die Generation Z – geboren etwa zwischen 1995 und 2010 – trifft ihre Bildungsentscheidungen unter anderen Voraussetzungen als frühere Jahrgänge. Sie stellt neue Anforderungen an Studienformate, Inhalte und Kommunikationswege.

Was verändert sich konkret?

  • Sinnorientierung statt Statusdenken: Viele junge Menschen suchen nach Berufen, die gesellschaftlich relevant sind – etwa im Bildungs- oder Gesundheitswesen. Das zeigt sich zum Beispiel am sprunghaften Anstieg der Bewerbungen für Lehramtsstudiengänge in Berlin (+30 % im Jahr 2023).
  • Pragmatische Kosten-Nutzen-Abwägung: Studien gelten zunehmend als Mittel zum Zweck. Studienwahl erfolgt stärker entlang von Jobchancen, Work-Life-Balance und finanzieller Planbarkeit.
  • Alternative Bildungswege im Aufwind: Bootcamps, Online-Zertifikate (z. B. Coursera, Udacity) und Microcredentials gewinnen an Attraktivität – insbesondere für jene, die sich schnell qualifizieren oder parallel zum Beruf weiterbilden wollen.
  • Digital geprägte Informationskultur: Social Media, YouTube und Plattformen wie fernstudi.net spielen eine wachsende Rolle bei der Orientierung. Authentische Erfahrungsberichte von Peers wirken oft überzeugender als klassische Imagebroschüren.
  • Wunsch nach Flexibilität: Viele Studieninteressierte bevorzugen Formate, die sich mit anderen Lebensbereichen vereinbaren lassen – etwa duale oder berufsbegleitende Studiengänge. Die Zahl der Fernstudierenden hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht und liegt inzwischen bei über 250.000.

Diese Entwicklungen zeigen: Hochschulen stehen vor der Aufgabe, nicht nur ihre Angebote anzupassen, sondern auch ihre Ansprache grundlegend zu überdenken. Erfolgreich ist, wer echte Perspektiven, Orientierung und Individualisierung bietet – nicht nur Informationen.

Gewinner und Verlierer: Wer von der Transformation profitiert

Der Wandel im Hochschulmarkt betrifft nicht alle Akteure gleichermaßen. Während einige Einrichtungen deutliche Verluste bei Studienanfängerzahlen verzeichnen, gelingt es anderen, neue Zielgruppen zu erschließen oder innovative Studienformate erfolgreich zu etablieren.

Wer verliert?

  • Öffentliche Universitäten: Besonders klassische Vollzeitstudiengänge an Universitäten leiden unter rückläufigen Bewerbungszahlen. In manchen MINT- und wirtschaftswissenschaftlichen Fächern ging die Zahl der Erstsemester um bis zu 30 Prozent zurück – z. B. im Maschinenbau um rund 10.800 Studierende (-32 %).
  • Hochschulen in ländlichen Regionen: Einrichtungen ohne klares Profil in schrumpfenden Regionen, etwa in Teilen Ostdeutschlands, sind besonders stark betroffen.

Wer gewinnt?

  • Private Hochschulen: Diese legen entgegen dem Trend deutlich zu – insbesondere im Bereich des Fern- und berufsbegleitenden Studiums. Die Zahl der Erstsemester an privaten Hochschulen stieg binnen weniger Jahre um etwa 15.700 Personen (+50 %).
  • Fachhochschulen (HAW): Sie verzeichnen stabilere Anfängerzahlen als Universitäten, da sie oft praxisnähere Studiengänge mit klaren Berufsperspektiven bieten.
  • Hochschulen mit speziellem Profil: Einrichtungen, die sich klar positionieren, etwa im Bereich Digitalisierung, Gesundheit oder Nachhaltigkeit, ziehen weiterhin Studierende an. Beispiele sind die Hochschule Bremerhaven mit maritimem Fokus oder die Universität Lübeck mit Spezialisierung auf Medizin und Informatik.
  • Fern- und duale Studienanbieter: Beide Formate wachsen überproportional. Das duale Studium zählt inzwischen rund 138.000 Studierende – die Nachfrage übersteigt das Angebot deutlich.

Die Entwicklung zeigt: In einer sich wandelnden Bildungslandschaft behaupten sich jene Institutionen, die agil auf neue Bedürfnisse reagieren, ihr Profil schärfen und sich klar gegenüber alternativen Bildungswegen positionieren. Der Wettbewerb um Studierende ist intensiver – und differenzierter – geworden.

Neue Strategien der Hochschulen im Umgang mit veränderten Bedingungen

Der Rückgang traditioneller Studienanfängerzahlen zwingt viele Hochschulen dazu, ihre strategische Ausrichtung zu überdenken. Dabei zeigt sich eine klare Tendenz zur Digitalisierung, Zielgruppenerweiterung und Internationalisierung. Zahlreiche Einrichtungen haben in den letzten Jahren massiv in den Ausbau digitaler Studienformate investiert. Besonders private Hochschulen wie die IU Internationale Hochschule verzeichnen große Erfolge mit diesem Ansatz: Allein an der IU waren im WS 2022/23 über 76.000 Fernstudierende eingeschrieben. Aber auch staatliche Hochschulen bauen ihre Online- und berufsbegleitenden Studienangebote aus, etwa durch virtuelle Campustouren, digitale Beratungstools oder modernisierte Curricula mit Fokus auf hybride Lehrformate.

Ein weiterer zentraler Hebel ist die Internationalisierung. Weil die Zahl potenzieller Studienanfängerinnen und Studienanfänger im Inland stagniert oder rückläufig ist, richten viele Hochschulen ihre Aufmerksamkeit auf internationale Märkte. Unterstützt von Programmen wie „Study in Germany“ werben sie gezielt um ausländische Bewerberinnen und Bewerber – häufig mit englischsprachigen Studienangeboten oder internationalen Kooperationen.

Gleichzeitig erweitern viele Hochschulen ihren Zugang für neue Zielgruppen, etwa beruflich Qualifizierte ohne Abitur. In Kombination mit Weiterbildungsangeboten wie Zertifikatskursen und Microcredentials entstehen flexible Bildungswege, die sich an den Bedürfnissen von Berufstätigen orientieren. Diese Entwicklungen zeigen, dass Hochschulen zunehmend auf Diversität in der Studierendenschaft setzen und sich als Anbieter lebenslangen Lernens verstehen.

Insgesamt ist der Trend klar: Statt auf eine rückläufige Nachfrage mit Rückzug zu reagieren, gehen viele Hochschulen in die Offensive – mit innovativen Formaten, neuen Zielgruppen und internationaler Ausrichtung. Die Transformation des Hochschulmarkts ist in vollem Gange.

Ein Blick ins Ausland: Wie andere Länder mit Studierendenrückgang umgehen

Deutschland ist mit dem Rückgang von Studienanfängerzahlen nicht allein. Viele Industrieländer stehen vor ähnlichen Herausforderungen – und reagieren mit teils sehr unterschiedlichen Strategien. In Ostasien etwa, wo die demografische Entwicklung besonders dramatisch verläuft, setzen Staaten auf strukturelle Anpassungen. Japan hat seit den 1990er Jahren einen drastischen Rückgang der 18- bis 24-Jährigen erlebt. In der Folge mussten zahlreiche private Hochschulen, insbesondere in ländlichen Regionen, schließen oder fusionieren. Die Regierung versucht, diesem Trend mit finanziellen Hilfen und gezielter Internationalisierung entgegenzuwirken – etwa durch englischsprachige Programme und verstärkte Werbung um ausländische Studierende.

Südkorea, mit der weltweit niedrigsten Geburtenrate, verfolgt ähnliche Maßnahmen: Hier erhalten Hochschulen, die freiwillig ihre Aufnahmekapazitäten reduzieren, staatliche Unterstützung. Zudem werden regionale Universitäten gestärkt und teilweise zu Zentren für lebenslanges Lernen umgebaut.

Ganz anders gehen englischsprachige Länder wie Australien oder Kanada vor. Dort gilt die Internationalisierung als zentrales Wachstumsmodell. Australische Hochschulen finanzieren sich mittlerweile zu einem erheblichen Teil durch Gebühren internationaler Studierender – deren Anteil an der Gesamtstudierendenschaft liegt teils über 30 Prozent. Auch Kanada verzeichnet einen massiven Zuwachs: 2022 studierten über 800.000 internationale Studierende dort, Tendenz steigend. Diese Länder vermarkten ihre Hochschulsysteme aktiv global – und erleichtern den Zugang über vereinfachte Visaregularien.

Italien wiederum zeigt, dass auch innerhalb Europas Wachstum trotz Bevölkerungsschrumpfung möglich ist: Zwischen 2011 und 2021 stieg dort die Zahl der Studierenden um über zehn Prozent – vor allem durch stärkere Mobilität innerhalb des Landes sowie einen Boom bei Fern- und Online-Universitäten.

Diese internationalen Beispiele verdeutlichen: Ein Rückgang der einheimischen Studierendenzahlen muss nicht zwangsläufig zu einem Kollaps führen. Mit gezielter Internationalisierung, struktureller Anpassung und innovativen Bildungsangeboten lassen sich neue Zielgruppen erschließen – und das Hochschulsystem langfristig stabilisieren. Deutschland kann von diesen Ansätzen lernen und seine eigene Strategie entsprechend weiterentwickeln.

Fazit: Kein Kollaps – sondern eine Strukturverschiebung

Die vielzitierte These vom „Einbruch“ des Hochschulmarkts greift zu kurz. Zwar ist der Rückgang der Studienanfängerzahlen real und in bestimmten Regionen sowie bei einzelnen Fächern deutlich spürbar. Doch die Ursachen sind komplex, häufig temporär – etwa durch demografische Übergangseffekte – und werden durch langfristige Trends wie Internationalisierung, Digitalisierung und Wertewandel überlagert. Vieles spricht dafür, dass der deutsche Hochschulmarkt nicht kollabiert, sondern sich tiefgreifend transformiert. Wer diese Dynamik erkennt und aktiv gestaltet, kann nicht nur stabil bleiben, sondern neue Potenziale erschließen.

Zentrale Erkenntnisse auf einen Blick

  • Der Rückgang ist selektiv: Betroffen sind vor allem Universitäten, bestimmte Fächer (z. B. MINT) und strukturschwache Regionen.
  • Demografische Ursachen sind temporär: Die G9-Delle endet ab 2027 – langfristig steigen die Abiturientenzahlen wieder.
  • Studienmotive verändern sich: Generation Z stellt Sinnfragen, sucht Praxisbezug und Flexibilität statt traditioneller Bildungswege.
  • Neue Formate gewinnen: Fernstudium, duales Studium und berufsbegleitende Angebote legen zu – ebenso Microcredentials und Online-Weiterbildung.
  • Erfolgsfaktoren sind Innovation und Profil: Hochschulen mit klarer Ausrichtung, digitalem Angebot und internationaler Strategie gehören zu den Gewinnern.

Kommentare

Dein Kommentar?
or post as a guest
Lade Kommentar … The comment will be refreshed after 00:00.