Wie unerledigte Aufgaben uns stressen: Open Loops & Zeigarnik-Effekt

In der heutigen Zeit, wo die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwimmen, finden wir uns oft in einem Meer von unvollendeten Aufgaben wieder. Diese sogenannten „Open Loops“ und der damit einhergehende „Zeigarnik-Effekt“, benannt nach der Psychologin Bluma Zeigarnik, haben einen tiefgreifenden Einfluss auf unsere psychische Belastung und Produktivität, besonders im Kontext von Studium und Beruf.

Der Zeigarnik-Effekt

Im Jahr 1927 machte die sowjetisch-litauische Psychologin Bluma Zeigarnik eine revolutionäre Entdeckung: Unvollendete oder unterbrochene Aufgaben bleiben im Gedächtnis präsenter als abgeschlossene. Der Ansatz für die Untersuchung des Phänomens entstand aus der Beobachtung, dass Kellner sich besser an offene Bestellungen erinnern als an bereits abgerechnete.

Zeigarnik's Forschung zeigte, dass eine begonnene Aufgabe eine spezifische Spannung erzeugt, die erst mit dem Abschluss der Aufgabe gelöst wird und daher die kognitive Zugänglichkeit dieser Aufgabe verbessert​.

Ursachen und Auswirkungen des Zeigarnik-Effektes

Dieses Phänomen kann in unserem Alltag beobachtet werden, beispielsweise wenn eine angefangene, aber nicht abgeschlossene Arbeit uns ständig im Hinterkopf bleibt, was unsere Konzentration und Produktivität in anderen Bereichen beeinträchtigt.

Diese „Open Loops“, also „lose Enden“ oder metaphorisch für das Steckenbleiben in einem Looping, führen zu einer zunehmenden mentalen Last. Wenn wir gleichzeitig mehrere Projekte beginnen oder Verpflichtungen eingehen, ohne sie abzuschließen, sammeln sich diese offenen Schleifen in unseren Gedanken an und führen zu einem Gefühl von Unordnung und Überforderung.

Die Open Loops können kleine Aufgaben bis hin zu größeren Projekten betreffen - und sowohl im Privaten als auch im Job oder Studium auftreten.

Dabei kann sich der Zeigarnik-Effekt konkret in Form des ständigen Gedankenkreisens oder auch eher unterschwellig als innere Unruhe bemerkbar machen, obwohl die Ursachen mitunter nebensächlich erscheinen: liegengebliebene Hausarbeit, ein ausstehendes Telefonat, unbeantwortete WhatsApp-Nachrichten oder Mails. 

Digitale Kommunikation und moderne Arbeitswelt, charakterisiert durch ständige Verfügbarkeit und die Erwartung von Multitasking, verschärfen diesen Effekt. So werden etwa Beschäftigte bei ihren Tätigkeiten im Durchschnitt alle vier Minuten unterbrochen. Solche Unterbrechungen führen nicht nur zu einer Verlängerung der nötigen Bearbeitungszeit für einzelne Aufgaben, sondern auch zu einer erhöhten mentalen Belastung.

Strategien gegen Open Loops

Um diese Herausforderungen zu bewältigen, empfiehlt sich eine fokussierte Arbeitsweise. Das bedeutet, Aufgaben zu priorisieren, zu organisieren und sie nacheinander abzuschließen, anstatt mehrere gleichzeitig zu beginnen.

  • Physische Notizen machen: Das Aufschreiben offener Aufgaben in den obligatorischen To-Do-Listen kann helfen, diese zu visualisieren, zu strukturieren und zumindest bis zu ihrer Bearbeitung aus dem Kopf zu bekommen und dadurch wiederum den Fokus für die aktuelle Tätigkeit zu verbessern​.
  • Die Zwei-Minuten-Regel anwenden: Kleine, schnell erledigbare Aufgaben können kurzfristig angegangen werden, um die Ansammlung von Open Loops zu vermeiden. Diese Regel hilft dabei, kleine Aufgaben nicht unnötig aufzuschieben​.
  • Aufteilung in Unteraufgaben: Große Aufgaben sollten in kleinere Schritte unterteilt werden. Diese Technik hilft, den Überblick zu behalten und erleichtert das Schließen von Open Loops, indem sie große, überwältigende Projekte in handhabbare Teile zerlegt​.
  • Zeitblöcke für wichtige Aufgaben planen: Für umfangreiche Aufgaben sind ungestörte Arbeitsblöcke erforderlich. Während dieser Zeit sollten alle Ablenkungen vermieden werden, um sich voll und ganz auf die Aufgabe zu konzentrieren und effizient zu arbeiten.
  • Delegieren: Falls nötig, möglich und vertretbar, ist auch das Delegieren von Aufgaben sinnvoll, um zumindest einige der Open Loops zu schließen.

Studierenden können außerdem die folgenden Ansätze helfen:

  • Klare Lernziele: Zu definieren, was in jeder Lernsession erreicht werden soll, hilft, fokussiert und zielgerichtet zu bleiben, ohne größere Baustellen zu eröffnen.
  • Technologie gezielt nutzen: Digitale Tools und Apps wie Notion, OneNote oder Kalender-Apps können helfen, Aufgaben zu organisieren und Fortschritte zu verfolgen.
  • Regelmäßige Pausen einplanen: Pausen und Auszeiten sind essenziell, um den Geist zu erfrischen und die Produktivität langfristig hoch zu halten. Diese zu planen, gibt der Arbeitsweise und den Aufgaben Struktur: Es trennt bewusst Erholungsphase von Arbeitsphase.
  • Reflexion über Arbeits- und Lernmethoden: Im Studium sollten auch die eigenen Arbeits- und Lernmethoden hinterfragt und gegebenenfalls angepasst werden.

Abschließend ist es entscheidend, bewusste Entscheidungen über unsere Prioritäten zu treffen und konsequent zu handeln. Indem wir bewusst entscheiden, welche Aufgaben wir annehmen und welche wir zurückstellen, können wir unser Zeitmanagement verbessern und unseren mentalen Raum effektiver nutzen.

Zusammenfassung

Es geht beim Zeigarnik-Effekt also nicht nur darum, produktiver zu sein, sondern auch darum, ein Gleichgewicht zu finden. Das Bewusstsein für die Auswirkungen von Open Loops kann uns dabei helfen, unsere Arbeitsweise zu reflektieren und anzupassen. Indem wir lernen, unsere Aufgaben bewusst zu managen, können wir einen Teufelskreis von Stress und Überlastung verhindern oder durchbrechen.

Die Auseinandersetzung mit Open Loops und dem Zeigarnik-Effekt ist mehr als nur ein Zeitmanagement-Tool; es ist ein Tool für mehr Resilienz und die Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit, das uns zugleich lehrt, unsere Aufmerksamkeit und Energie sinnvoll zu investieren.

In einer Welt, die von ständiger Beschäftigung und Ablenkung geprägt ist, ist es wichtiger denn je, Techniken zu beherrschen, die uns helfen, fokussiert und zielgerichtet zu bleiben.

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