Anerkennung mit Nebenwirkungen? Wie der „Tutor des Jahres“ zwischen Qualität und Marketing balanciert
Ob durch kreative Lernmaterialien, schnelle Rückmeldungen oder motivierende Betreuung: Tutorinnen und Tutoren sind zentrale Bezugspersonen im Fernstudium. Seit 2012 zeichnet der Bundesverband der Fernstudienanbieter jährlich besonders engagierte Lehrkräfte mit dem Publikumspreis „Tutor des Jahres“ aus. Was als Geste der Wertschätzung begann, hat sich zu einem öffentlichkeitswirksamen Wettbewerb entwickelt – flankiert von Medienpartnerschaften, Abstimmungsaktionen und steigender Reichweite. Doch wie aussagekräftig ist der Preis tatsächlich? Ich beleuchte hier, wo der „Tutor des Jahres“ Anerkennung schafft – und wo er womöglich mehr Sichtbarkeit als Substanz liefert.
Inhalt
- Beliebtheitswettbewerb seit 2012: Was ist der „Tutor des Jahres“?
- Qualität auf dem Prüfstand: Wie wird bewertet?
- Zwischen Publikumsnähe und Popularitätseffekt
- Der Preis im Wettbewerb der Gütesiegel
- Der Qualitätsanspruch 2025 des Bundesverbandes – und seine Fallstricke
- Fazit: Zwischen Anerkennung und Ambivalenz
- Kommentare
Beliebtheitswettbewerb seit 2012: Was ist der „Tutor des Jahres“?

Seit über einem Jahrzehnt verleiht der Bundesverband der Fernstudienanbieter den Publikumspreis „Tutor des Jahres“. Die Auszeichnung wurde 2012 ins Leben gerufen, um Tutorinnen und Tutoren im Fernunterricht eine Bühne zu geben – als Würdigung für ihr oft unterschätztes Engagement im digitalen Bildungsalltag. Im Zentrum steht dabei nicht die Bewertung durch Expertengremien, sondern die Stimme der Community.
Das Verfahren gliedert sich in zwei Phasen: Zunächst erfolgt eine offene Nominierungsrunde, anschließend eine Online-Abstimmung. Bereits 2023 öffnete der Verband den Nominierungsprozess für ein breites Publikum: Seither können nicht nur betreute Studierende Vorschläge einreichen, sondern auch Fernlehrinstitute, Kooperationspartner, Tutorinnen und Tutoren selbst sowie Alumni und aktuelle Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Fernstudiengängen. Die Abstimmung erfolgt über ein Partnerportal, das seit dem Jahrgang 2025 nicht mehr FernstudiumCheck, ein Bewertungsportal für Fernstudiengänge, sondern Fernstudium Direkt ist, eine Vergleichsseite für Fernstudiengänge.
Der jeweilige Preisträgerjahrgang wird im Vorjahr gewählt: So wurde beispielsweise der „Tutor des Jahres 2025“ im Herbst 2024 gekürt. Derzeit, im Mai 2025, läuft bereits die Nominierungsphase für den Jahrgang 2026. Im Wettbewerb stehen Dutzende nominierte Tutorinnen und Tutoren aus verschiedensten Fachrichtungen und Bildungseinrichtungen, begleitet von Social-Media-Kampagnen, Newslettern und öffentlicher Aufmerksamkeit.
Was als Zeichen der Wertschätzung gedacht ist, wirkt zugleich wie ein klassischer Beliebtheitswettbewerb. Die folgenden Abschnitte beleuchten, wie die Qualität der Tutorien im Rahmen dieses Preises eigentlich gemessen wird – und ob das Verfahren diesem Anspruch gerecht wird.
Das sind übrigens die Gewinner der letzten Jahre:
Jahr | Tutor/-in des Jahres | Institution |
---|---|---|
2012 | Prof. Dr. Werner Heister | APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft |
2013 | Prof. Dr. Viviane Scherenberg | APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft |
2014 | Martina Wetzel | DIPLOMA Hochschule (Grafik-Design) |
2016 | Maren Koelen | Deutsche Hotelakademie (DHA) |
2017 | Dr. Nicolette Bohn | Schule des Schreibens (ILS bzw. Klettgruppe) |
2018 | Jörg Reschke | Europäische Fernhochschule Hamburg (Euro-FH) |
2019 | Prof. Dr. Marco Halber | SRH Fernhochschule – The Mobile University |
2020 | Katy Sonderschefer | ATN Akademie für Tiernaturheilkunde (Schweiz) |
2021 | Prof. Dr. Ahmed A. Karim | SRH Fernhochschule – The Mobile University |
2022 | Sophie Sander | Deutsche Hotelakademie (DHA) |
2023 | Prof. Dr. Giovanni Vindigni | DIPLOMA Hochschule |
2024 | Prof. Dr. Giovanni Vindigni | DIPLOMA Hochschule |
2025 | Can Karaarslan | HFH – Hamburger Fern-Hochschule |
Qualität auf dem Prüfstand: Wie wird bewertet?
Der „Tutor des Jahres“ versteht sich als Auszeichnung für herausragende Betreuung im Fernunterricht – aber auf welcher Bewertungsgrundlage? Die Preisvergabe basiert auf einem Online-Voting, das seit einigen Jahren nicht mehr nur die Anzahl der Stimmen berücksichtigt, sondern ein Punktesystem nutzt. Dabei bewerten Abstimmende die nominierten Tutorinnen und Tutoren anhand dreier vordefinierter Kategorien:
- Fachliche Kompetenz und Verständlichkeit: Wird der Lernstoff klar und praxisnah vermittelt?
- Unterstützung und Erreichbarkeit: Wie verlässlich, individuell und zeitnah ist die Betreuung?
- Motivation und Engagement: Fördert der Tutor bzw. die Tutorin die Lernmotivation durch persönliche Ansprache, kreative Methoden oder Zusatzangebote?
Für jede positiv bewertete Kategorie wird ein Punkt vergeben – maximal also drei Punkte pro Stimme. Für das Gesamtergebnis zählt nicht die absolute Zahl der Stimmen, sondern der durchschnittlich erzielte Punktwert. Dadurch sollen auch Tutorinnen und Tutoren mit kleineren Studierendengruppen eine faire Chance haben – ganz im Sinne des Mottos „Qualität statt Quantität“.
Neu im Jahrgang 2026 ist die Einführung von drei Sonderauszeichnungen, die gezielt einzelne Stärken würdigen: Wissensnavigator:in für fachliche Kompetenz, Support-Held:in für besondere Erreichbarkeit und Motivator:in für außergewöhnliches Engagement. Diese Titel gehen an Tutorinnen und Tutoren, die in einer Einzelkategorie besonders überzeugen, jedoch nicht unter die Top 3 des Gesamtwettbewerbs fallen. Damit reagiert der Veranstalter auf Kritik, wonach differenzierte Leistungen bislang im Wettbewerb unterrepräsentiert waren.
Trotz dieser Weiterentwicklung bleiben grundsätzliche Fragen: Die Teilnahme an der Abstimmung ist zwar auf betreute Studierende beschränkt, laut Veranstaltern wird dies aber nur stichprobenartig überprüft. Eine lückenlose Überprüfung ist nicht vorgesehen. Außerdem dürfte es gerade sehr kleinen Anbietern sehr schwerfallen, überhaupt auf die Mindestanzahl von Votings zu kommen, unabhängig davon, wie gut deren Tutoren und Tutorinnen sind.
Zwischen Publikumsnähe und Popularitätseffekt

Auf den ersten Blick scheint der „Tutor des Jahres“ ein Paradebeispiel für gelebte Beteiligungskultur im Fernstudium zu sein: Studierende, Alumni und Bildungsakteure nominieren, voten und feiern gemeinsam ihre Favoritinnen und Favoriten. Doch genau diese Öffnung birgt auch Risiken. Denn je mehr das Verfahren auf Sichtbarkeit und Reichweite basiert, desto stärker treten pädagogische Inhalte in den Hintergrund.
Viele Bildungsanbieter nutzen die Nominierungs- und Abstimmungsphasen gezielt für eigene Kampagnen: Sie informieren via Newsletter, Social Media und interne Plattformen über ihre Kandidatinnen und Kandidaten und animieren zur Teilnahme. Manche veröffentlichen aufwendig produzierte Videos, stellen eigene Landingpages bereit oder bündeln Stimmenaufrufe mit Testimonials zufriedener Studierender. Diese Mobilisierung ist legitim – sie macht das Verfahren lebendig. Doch sie begünstigt zugleich jene Anbieter, die über große Kommunikationskanäle, engagierte Communities und Marketingressourcen verfügen.
Der Wettbewerb wird so zum Wettlauf um Sichtbarkeit. Tutorinnen und Tutoren mit hoher institutioneller Rückendeckung haben es leichter, genug Stimmen zu sammeln – auch unabhängig von der tatsächlichen Tiefe ihrer Betreuungsarbeit. Wer still und engagiert im Hintergrund wirkt, aber keine große Reichweite mobilisieren kann, bleibt unter Umständen unsichtbar. Zwar gleicht das Punktesystem große Kohortenvorteile teilweise aus, doch am Grundprinzip der Eigenwerbung ändert sich wenig.
Ein Beispiel ist der neue Sonderpreis „Nominierungs-Champion“, der im Wettbewerb für 2026 erstmals ausgelobt wurde. Ausgezeichnet wird die Bildungseinrichtung mit den meisten gültigen Vorschlägen. Auch er signalisiert: Aktivierungspotenzial zählt – mehr noch als das individuelle Wirken der Tutorinnen und Tutoren selbst.
Der Preis im Wettbewerb der Gütesiegel
Der „Tutor des Jahres“ steht nicht allein: In der Fernstudienlandschaft buhlen zahlreiche Auszeichnungen, Rankings und Qualitätssiegel um Aufmerksamkeit – viele davon mit unklarer Aussagekraft. Portale wie FernstudiumCheck oder Fernstudium Direkt, die auch als Kooperationspartner beim Publikumspreis agierten bzw. agieren, vergeben eigene Titel wie „Top Fernhochschule“ oder „Empfehlenswert, sehr guter Anbieter“. Hinzu kommen Siegel von Medienhäusern wie Focus Money oder Dienstleistern wie Trusted.de, deren Kriterien oft intransparent oder kommerziell motiviert sind.
Allen gemein ist, dass sie auf Bewertungen durch Nutzerinnen und Nutzer basieren – also auf subjektiven Eindrücken. Die Auszeichnungen spiegeln damit nicht zwangsläufig die akademische Qualität oder die didaktische Substanz eines Studienangebots wider, sondern häufig die Marketingstärke und Mobilisierungsfähigkeit eines Anbieters. Hochschulen, die ihre Studierenden aktiv zur Bewertung anregen, haben hier klare Vorteile – unabhängig davon, wie fundiert oder innovativ die Lehre tatsächlich ist.
Der Preis „Tutor des Jahres“ fügt sich in dieses Muster ein. Auch er lebt von Bewertungen, die auf persönlichen Erfahrungen beruhen – oder auf Sympathie, Bekanntheit oder Markenbindung. Das ist legitim, aber es stellt die Frage nach der Abgrenzung: Worin unterscheidet sich der Preis noch von klassischen Imagekampagnen? Und was bedeutet er tatsächlich für Studieninteressierte, die Orientierung suchen?
Hinzu kommt ein strukturelles Problem: Die Inflation der Siegel führt zu einer Entwertung der Einzelauszeichnung. Wenn nahezu jede Hochschule mit irgendeinem Titel werben kann – sei es für „Top Betreuung“, „Beste Studieninhalte“ oder „Höchste Weiterempfehlung“ –, verliert die jeweilige Auszeichnung an Klarheit. Für die Zielgruppe wird es schwieriger, echte Qualitätsindikatoren von werbewirksamer Etikettierung zu unterscheiden.
Diese Entwicklung steht im Spannungsverhältnis zu dem, was sich der Bundesverband der Fernstudienanbieter für 2025 vorgenommen hat: eine verbindliche Qualitätsoffensive, die klare Standards und echte Transparenz schaffen soll. Wie diese mit einem publikumsbasierten Preis vereinbar ist, klärt der nächste Abschnitt.

Der Qualitätsanspruch 2025 des Bundesverbandes – und seine Fallstricke
Im Jahr 2025 hat der Bundesverband der Fernstudienanbieter das „Jahr der Qualität“ ausgerufen – mit dem erklärten Ziel, Vertrauen und Verlässlichkeit im digitalen Bildungsmarkt zu stärken. Im Zentrum stehen Initiativen zur Standardisierung, mehr Transparenz sowie die Anerkennung digitaler Bildungsabschlüsse. Die Botschaft: Qualität ist kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung für Teilhabe, Bildungsgerechtigkeit und Fachkräftesicherung.
Konkret fordert der Verband bundeseinheitliche Mindeststandards für digitale Bildungsformate, eine bessere Einbindung in den Deutschen Qualifikationsrahmen sowie die Entwicklung eines digitalen Registers für Bildungsabschlüsse. Der Nationale Bildungsbericht 2024, auf den sich der Verband stützt, betont die Bedeutung einer strukturell abgesicherten digitalen Bildung für eine zukunftsfähige Gesellschaft.
Doch ausgerechnet im gleichen Jahr setzt der Verband weiterhin auf einen Preis, dessen Methodik und Aussagekraft weitgehend auf subjektiven Bewertungen basiert – und der sich nur begrenzt zur Messung objektiver Qualität eignet. Der „Tutor des Jahres“ steht damit in einem Spannungsfeld: Einerseits symbolisiert er das Engagement einzelner Akteure, andererseits entspricht seine Struktur nicht den Prinzipien, die der Verband selbst für die Zukunft der Weiterbildung postuliert.
Ein weiterer Fallstrick: Die Nähe zu den Partnerportalen, die selbst Gütesiegel vergeben, kann als Interessenskonflikt wahrgenommen werden – auch wenn die Preisvergabe formal unabhängig organisiert ist. Wer Transparenz fordert, muss selbst transparent agieren. In einem Umfeld, in dem die Grenzen zwischen Community-Beteiligung und Imagekampagne verschwimmen, ist Glaubwürdigkeit ein sensibles Gut.
Damit stellt sich die Frage: Wie lässt sich echte Qualität im Fernstudium sichtbar machen, ohne sie auf Reichweite und Nutzermeinungen zu reduzieren?
Fazit: Zwischen Anerkennung und Ambivalenz
Der „Tutor des Jahres“ ist ein Preis mit doppeltem Gesicht: Er würdigt das Engagement von Tutorinnen und Tutoren, die maßgeblich zum Lernerfolg im Fernstudium beitragen – und schafft zugleich eine Bühne für Bildungsanbieter, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Als Symbol für gelebte Wertschätzung hat der Preis seine Berechtigung. Doch als Instrument der Qualitätsmessung stößt er an klare Grenzen.
Denn obwohl der Wettbewerb auf Beteiligung und Positiverfahrung setzt, sind die strukturellen Schwächen nicht zu übersehen:
- Benachteiligung kleiner oder sehr spezialisierter Anbieter: Die geforderte Mindestanzahl von 75 Bewertungen stellt für kleine Einrichtungen ohne Social-Media-Power eine hohe Hürde dar - auch bei überdurchschnittlicher Betreuungsqualität.
- Popularität vor Pädagogik: Tutorinnen und Tutoren mit großer Reichweite und aktiver Mobilisierung sind im Vorteil, auch wenn nicht die absolute Stimmenanzahl entscheidet, sondern ein durchschnittlicher Score.
- Möglicherweise verzerrte Aussagekraft: Auch wenn laut Teilnahmebedingungen nur betreute Personen abstimmen dürfen, ist die tatsächliche Betreuungserfahrung nicht für jede Stimme verifizierbar.
- Marketingeinbindung: Bildungseinrichtungen nutzen die Preisverleihung strategisch zur Imagepflege.
- Widerspruch zum Qualitätsanspruch: Der Preis erfüllt kaum die Kriterien, die der Verband selbst für zukunftsfähige Qualität definiert.
Trotz kleiner Reformen – wie den neuen Sondertiteln ab 2026 – bleibt der Preis im Kern ein Beliebtheitswettbewerb. Damit steht er im Widerspruch zum erklärten Anspruch des Bundesverbands, im „Jahr der Qualität“ verbindliche Standards, transparente Verfahren und objektivierbare Bewertungskriterien zu etablieren.
Wer Qualität fördern will, muss mehr bieten als Likes und Lob. Dazu gehören unabhängige Evaluationen, nachvollziehbare Maßstäbe und eine systematische Betrachtung der Lehre. Der „Tutor des Jahres“ könnte ein Baustein davon sein – wenn er in ein umfassenderes Qualitätssystem eingebettet und methodisch weiterentwickelt würde.
Bis dahin bleibt seine Aussagekraft begrenzt. Anerkennung ist wichtig. Aber sie sollte nicht mit Qualität gleichgesetzt werden – zumindest nicht, solange der Maßstab dafür in der Beliebtheit liegt.
Der Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2025. Die Inhalte wurden auf Basis verfügbarer Informationen, offizieller Teilnahmebedingungen sowie einer direkten Rückmeldung von Fabian Haubner, Geschäftsführer von Fernstudium Direkt, überprüft und präzisiert. Ergänzungen betreffen insbesondere die Bewertungsmethodik, die Teilnahmeberechtigung sowie die strukturellen Voraussetzungen für kleine Bildungsanbieter. Ziel des Beitrags ist eine sachlich fundierte und faire Einordnung des Preises „Tutor des Jahres“ im Kontext aktueller Qualitätsdebatten im Fernstudium.
Kommentare
or post as a guest