Lernen & Selbststudium

Mittel gegen Prüfungsangst: 4 Tipps für entspanntere mündliche und schriftliche Prüfungen

Prüfungsangst ist so verbreitet, dass sie es sogar ins psychiatrische Klassifikationssystem DSM-IV geschafft hat. Zumindest leichte bis moderate Formen von Prüfungsangst kann man aber bewältigen. Ich stelle euch hier 4 Strategien vor, die euch dabei helfen, bei eurer nächsten Prüfung Leistung statt Angst unter Beweis zu stellen.

Meinen schlimmsten „Anfall“ von Prüfungsangst ever hatte ich zur mündlichen Latinum-Prüfung vor vielen Jahren. Ich war zwar ganz gut vorbereitet, hatte aber extremen Bammel vor der Prüfung. Das war so schlimm, dass ich einen regelrechten Blackout in der Prüfungssituation hatte: Schwindel, Hitze, Wortfindungsstörungen, verschwommene Optik. Bin trotzdem irgendwie durchgekommen, und gestorben bin ich auch nicht ?  Ohne diese sinnlose Panikattacke hätte ich aber optimal auf all mein Wissen und Können zugreifen und überdurchschnittlich bestehen können.

Flüchten, Kämpfen, Totstellen: Warum wir Angst vor Prüfungen haben (und warum diese Angst sinnlos ist)

Vorab: Die Ursachen dafür, dass wir uns vor bestimmten Situationen fürchten, die eigentlich nicht lebensbedrohlich sind, sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Der eine hat Angst davor, zu versagen, die andere ist extrem schüchtern, manche von uns sind durch Kindheitserlebnisse traumatisiert.

Allen sind aber die körperlichen Prozesse gemein, die ausgelöst werden, wenn wir uns bedroht und nicht sicher fühlen: die Pupillen weiten sich, der Mund wird trocken, der Herzschlag steigt usw. Unser sympathisches Nervensystem feuert los und will uns vor einer lebensgefährlichen Situation retten. Wir wollen entweder flüchten oder kämpfen oder uns irgendwo vergraben und  totstellen.

Schematische Darstellung der Funktionen des autonomen Nervensystems

Dass das passiert, wenn wir „öffentlich“ reden, etwa bei Referaten oder auch in mündlichen Prüfungen, lässt sich stammesgeschichtlich möglicherweise so erklären, dass wir Angst davor haben, aus der Gemeinschaft verstoßen zu werden, wie vor einem Scherbengericht. 

Dumm nur, dass eine mündliche Prüfung kein Scherbengericht ist. Und der Ausgang der Situtation ganz in unserer Hand liegt. Dass es keine lebensgefährliche Bedrohung gibt, und wir nicht kämpfen oder flüchten müssen, sondern reden und nachdenken.

Weil aber dank Prüfungsangst unser Blut überall ist, nur nicht im Kopf, fangen wir an zu stottern; wir dissoziieren und sehen uns von außen. Extrem hinderlich für eine erfolgreiche Prüfung!

Was die Abbildung oben nicht zeigt, ist der Nervus vagus, der 10. Hirnnerv. Das ist ein ziemlich langer Nerv, der durch den ganzen Körper „wandert“ und so ziemlich alle unsere Organe reguliert. Interessanterweise kann man die Aktivität des Vagalnervs sichtbar machen, mithilfe einer Herzfrequenzvariabilitätsanalyse. So hat man herausgefunden, dass man durch elektrische Stimulation dieses Nervs sofortige Entspannung herbeiführen und sogar Entzündungsprozesse im gesamten Körper abschalten kann. Und natürlich kann man mit entsprechender Stimulation auch Angst und sogar Depressionen entgegenwirken.

Zum Glück muss sich keiner von uns so einen Vagus-Nerv-Stimulator implatieren lassen. Denn wir können mit einer Reihe von Techniken den Vagalnerv aktivieren, unser Nervensystem beruhigen und uns so beispielsweise vor Prüfungssituationen und in Prüfungsvorbereitungsphasen gezielt herunterfahren.

Strategie 1: Singen, summen, lachen

Singen und summen stimulieren den Vagus-Nerv, entspannen uns und wirken so Angstgefühlen entgegen. 

In einer Studie hat man beispielsweise 15 Probanden entweder ein Lied oder ein Mantra singen oder einen Ton summen lassen. Währenddessen wurde ununterbrochen für jeden Probanden die Herzfrequenzvariabilität aufgezeichnet. Hohe Herzfrequenzvariabilität (die Abstände zwischen den Herzschlägen sind variabler) zeigt, dass der Vagusnerv aktiver ist und der Proband weniger unter Stress steht. Ergebnis der Studie: Vor allem Lied- und Mantrasingen steigern die Herzfrequenzvariabilität und senken entsprechend Stresslevel.

Also, bevor ich euch vor Angst vor der nächsten Prüfung in die Hosen macht, versucht es mal mit Gesang. Spielt Gitarre oder Klavier, singt Lieder mit euren Kindern, singt laut im Auto auf dem Weg zur Prüfung. Oder versucht es mal mit „Om“-Chanten, das funkioniert nämlich auch.

Was auch funktioniert: Lachen. So hat man in einer kleinen Studie mit 6 Teilnehmern herausgefunden, dass Lachyoga die Herzfrequenzvariabilität steigern kann und entsprechend Stress und Angst entgegenwirkt. In einer etwas größeren Studie mit 50 älteren Teilnehmern hat man herausgefunden, dass Lachtherapie Angstgefühle verringern kann.

Strategie 2: Yoga und tiefes Atmen

Yoga und Mobility Training: Baut nicht nur Prüfungsstress ab, sondern auch Hirnzellen auf.

Yoga ist der Klassiker unter den entspannenden Sportarten. Yoga erhöhnt BDNF, ein Protein, das eine wichtige Rolle für die Neuroplastizität und damit für euren Lernerfolg spielt. Yoga kann auch Cortisol senken, das Stresshormon, und regelmäßiges Yoga wirkt systemischen Entzündungsreaktionen entgegen, die sich negativ auf eure Leistungsfähigkeit auswirken können (siehe diese Studie).

Es bringt allerdings nicht viel, wenn ihr einen Tag vor eurer Prüfung anfangt, irgendwelche Yoga-Posen aus Youtube-Videos nachzumachen. Ihr müsst schön regelmäßig trainieren und Yoga erst einmal erlernen.

Die Atmung spielt beispielsweise eine wichtige Rolle bei den meisten Yogaprogrammen, und ist m.E. auch mitverantwortlich dafür, dass Yoga unser parasympatisches Nervensystem aktiviert. Richtiges und gutes Atmen müssen viele von uns erst einmal (wieder-)erlernen. Tief zu atmen heißt, tief nach unten in den Bauch zu atmen. Tiefes Atmen beruhigt euch und ist ein praktisches Tool, um der Anspannung kurz vor einer Prüfung entgegenzuwirken.

Wenn ihr besser in der Gruppe lernt, besucht mal einen Yoga-Kurs, um die wichtigsten Posen zu lernen. Ziel sollte aber sein, Yoga in den Alltag zu integrieren, ganz besonders in Prüfungsphasen. Wenn ihr Abends vor dem Schlafen noch eine halbe Stunde Yoga praktiziert und entspanntes, tiefes Atmen lernt, werdet ihr mit Sicherheit besser schlafen und Herausforderungen im Alltag souveränder meistern.

Strategie 3: Mozart hören

Sucht mal auf Spotify nach „Mozart“. Wolfgang Amadeus Mozart ist dieser Dude von vor 200 Jahren, der nicht nur einen Hit nach dem anderen geschrieben hat hat, sondern uns auch einen ziemlich witzigen Chatverlauf mit seiner Cousine Maria Anna Thekla Mozart hinterlassen hat. Am 28. Februar 1778 schrieb er ihr zum Beispiel:

Mademoiselle
ma très chère Cousine!
sie werden vielleicht glauben oder gar meynen ich sey gestorben! -- ich sey Crepirt? - oder verreckt? - doch nein! meynen sie es nicht, ich bitte sie; denn gemeint und geschissen ist zweyerley! - wie könnte ich denn so schön schreiben wenn ich tod wäre? - wie wäre das wohl möglich? --- wegen meinem so langen stillschweigen will ich mich gar nicht entschuldigen, denn sie würden mir so nichts glauben; doch, was wahr ist, bleibt wahr! - ich habe so viell zu thun gehabt, daß ich wohl zeit hatte, an das bäsle zu denken, aber nicht zu schreiben, mithin hab ichs müssen lassen bleiben. 

Mozart wusste nicht nur sein zeitgenössisches Umfeld zum Lachen zu bringen. Er hat auch Musik komponiert, die der Nachwelt gute Gefühle vermittelt, beispielsweise die Sonate für 2 Klaviere KV 448. In einer Studie an 46 Kindern mit Epilepsie hat man festgestellt, dass die KV 448 und KV 545 das parasympathische Nervensystem aktivieren können und so zu mehr Entspannung beitragen.

Also, setzt euch versuchsweise zum Lernen die Kopfhörer auf und lasst Mozart laufen, vielleicht fangt ihr so an, „Entspannung“ mit dem Lernstoff zu assoziieren, anstatt Stress. Meiner Erfahrung nach funktionieren Bachs Brandenburgische Konzerte übrigens mindestens genauso gut.

Strategie 4: Angstlösende Nahrung und Nahrungsergänzung

Der Klassiker für Menschen, die unter Lampenfieber leiden, sind sicherlich Betablocker. Betablocker sind Medikamente, die die Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin hemmen und so der Stimulation des Herz-Kreislauf-Systems entgegenwirken. Da Betablocker verschreibungspflichtig sind, in empfindliche Systeme eingreifen und jede Menge Nebenwirkungen aufweisen, sind sie für die typische Prüfungsangst natürlich keine Option. 

Ein anderer Klassiker ist Alkohol. Jeder kennt die enthemmende Wirkung von ein paar Gläsern Wein oder Bier. Alkohol wirkt auf unser GABA-System. GABA ist ein γ-Aminobuttersäure mit hemmender Wirkung auf unser Nervensystem. Für Prüfungssituationen ist Alkohl natürlich keine Option.

Als „natürliche“ Alternative gibt es aber jede Menge Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel, die sich positiv bei Prüfungsangst auswirken können. Teils wirken sie sich ähnlich wie Alkohol auf unser GABA-System aus. 

  • Grüner Tee: Grüner Tee enthält jede Menge Theanin. Theanin ist eine Aminosäure, die lt. diverser Studien die Entspannung fördert, den GABA-Spiegel erhöht und möglicherweise sogar Angstgefühlen entgegenwirken kann. Vor allem in Prüfungsphasen solltet ihr Kaffee meiden, denn Kaffee wirkt im Gegensatzu zu grünem Tee tendenziell angstfördernd. Theanin kann man übrigens auch als Ergänzungsmittel in Pulverform kaufen.
  • Schokolade: Schokolade, und zwar richtige bittere Schokolade ohne Zuckerzusatz, wirkt einerseits antioxidierend, hilft also dabei, Stoffwechselprodukte abzubauen, die durch hohen Stress entstehen. Andererseits kann Schokolade Angstgefühlen entgegenwirken.
  • Fisch: Fisch, vor allem fettiger Fisch wie Lachs, enthält jede Menge Omega-3-Fettsäuren. Diese Fettsäuren sind enorm wichtig für unser Gehirn und können außerdem Angstgefühle mindern. Fisch enthält außerdem jede Menge B-Vitamine, die ebenso wichtig für mentale Performance sind.
  • Kamille: Jeder kennt die entspannende Wirkung eines Kamillentees. Eignet sich besonders am Abend, um nach einem stressigen (Lern-)Tag runterzukommen und besser zu schlafen. 
  • Magnesium: Magnesium hilft unserer Muskulatur, zu entspannen. Abends genommen, kann es so den Schlaf unterstützten, und laut einiger Studien hat Magnesium auch einen angstlösenden Effekt. 300 bis 400mg Magenesium in der Form Magnesiumglycinat oder Magnesiumcitrat sind eine typische Tagesdosis.

Fazit

Auch wenn es keinen wirklich vernünftigen Grund gibt, vor einer Prüfung in Panik auszubrechen, haben wir unser Nervensystem nicht immer so unter Kontrolle, dass wir in der Prüfung absolut selbstsicher performen.

U.a. mit den hier aufgezählten Tricks können wir aber unser Nervensystem trainieren und uns auch in der Prüfungssituation schnell herunterfahren, um mit akademischen Höchstleistungen zu glänzen, statt mit voller Hose. 

 

Kommentare

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  • Dennis · vor 5 Jahren
    Sehr interessanter Beitrag, der meiner Meinung nach einige wichtige Dinge anspricht. Ich würde dennoch, wenn ich darf, gerne noch Strategie #5 ergänzen: Ein Umdenken in Hinblick auf die Prüfung forcieren und die Prüfungsangst nicht mehr länger als Feind, sondern als Freund begreifen.

    Im Part mit den neurologischen Fakten rund um Prüfungsangst wird es hier ja schon mehr oder weniger angesprochen. Die Prüfungsangst schaltet unseren Körper in eine Art urzeitlichen Notfallmodus. Es wird eine Bedrohung ausgeamcht und unser System ist nun daran interessiert, dieses Problem zu lösen. Das bedeutet im Fall einer Prüfungssituation ganz konkret, dass die Konzentrationsfähigkeit steigt und Gelerntes leichter abgerufen werden kann. Für jemanden, der ausreichend vorbereitet ist, also eigentlich perfekt und absolut wünschenswert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mit einem Umdenken dieser Art, wie ich es ausführlicher in meinem Blogbeitrag zu diesem Thema bespreche (vgl. https://ausbilderschein24.de/ausbildereignungspruefung-pruefungsangst/ ), ein insgesamt sehr positiver und produktiver Effekt erzielt werden kann. Das soll die insgesamt guten, richtigen und wichtigen Infos in diesem Beitrag aber in keiner Weise untergraben, sondern vielmehr um eine weitere (hoffentlich für interessant befundene) Facette erweitern.

    Herzliche Grüße
    • Christian Wolf · vor 5 Jahren
      @Dennis Dennis, danke für deinen Kommentar. Natürlich spielt das Mindset auch eine wichtige Rolle. Ein bisschen Lampenfieber ist ganz normal und auch wichtig und verflieg idealerweise innerhalb der ersten Minuten der Prüfungssituation.

      Das und auch extreme Prüfungsangst zu akzeptieren, heißt für mich aber, dass man aktiv wird (statt starr) und der Situation bzw. Angst entgegenwirkt. Weniger durch bloßes Denken als vielmehr durch Entspannungsübungen usw., also die Dinge, die das Nervensystem zurück auf "Alles gut" schalten.

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