Fitness & Gesundheit

Steharbeitsplatz: Weshalb ich nur noch im Stehen arbeite (und lerne)

Vielleicht habt ihr schon einmal den Spruch gehört: „Sitzen ist das neue Rauchen“. Da ist was dran, finde ich aus eigener Erfahrung, weswegen ich schon seit Jahren nicht mehr rauche und nur noch im Stehen am Schreibtisch arbeite und lerne. Warum ich das mache, wie genau das aussieht und was ein Peripatetiker ist, erkläre ich in diesem Beitrag.

Mein Büro: mehr Atelier und Muckibude als Büro

Mein Büro und damit ein Teil der Redaktion von fernstudi.net ist kein gewöhnliches Büro, das nach Kaffee, Staub, Stress und Formaldehyd mieft. Mein Büro ist eigentlich gar kein Büro, sondern eher so eine Mischung aus Atelier, Werkstatt und Gym. Ich muss nur die Tür öffnen und bin schon auf der Terrasse, kann mich in die Sonne packen (oder in den Schnee) und frische Luft schnappen. Wenn ich mal nicht vorankomme mit einem Text oder mit dem, was ich gerade lerne, verrenke ich meine Gelenke in Yoga-Posen auf dem großen Teppich vor meinem Schreibtisch, oder ich stemme Gewichte, oder ich bounce ein wenig auf dem Trampolin.

Über all das später mehr, wenn es euch interessiert. Jetzt geht es erst einmal nur um meinen Schreibtisch und darum, warum ich nur noch im Stehen arbeite.

Bei mir läuft: Deshalb arbeite ich nur noch am Steharbeitsplatz

Das Foto unten zeigt einen Teil meines Büroatelierfitnessdingsbums mit meinem Schreibtisch, den ich mit sehr einfachen Mitteln selbst gebaut habe. Ist im Prinzip gemacht aus einer 2 m langen, 3 cm hohen und 60 cm tiefen Arbeitsplatte aus Massivholz, auf der oben noch eine Art Tisch steht, aus demselben Holz geschnitzt. Das Holz ist Gewöhnliche Robinie, die es in jedem Baumarkt billig als Leimholzplatte zu kaufen gibt, sehr dunkel geölt und recht hart. Geschliffen habe ich selbst von Hand und sehr fein, damit alles schön glatt wird. Wenn ich neu bauen würde, dann beim nächsten Mal mit Eiche, mit Holz von besserer Qualität als das schimmlige Holz aus den Baumärkten; ich würde selbst ölen, ohne Farbpigmente, und ich würde dübeln, nicht schrauben.

Die rechte Schreibtischhälfte habe ich so gemacht, dass ich bei Bedarf im Sitzen arbeiten kann – was ich aber mittlerweile nicht mehr tue. Ich kann nicht lange sitzen, ohne dass mir davon alles schmerzt und ich verkrampfe. Die rechte Hälfte des Schreibtischs ist entsprechend nur Ablage für MacBook, iPad & Co.

Mein Stehschreibtisch: Selbst gebaut aus Massivholz. Kostenfaktor: Kaum 100 Euro. Im Video zeige ich, wie ich die Arbeitsplatte mit einem höhenverstellbaren Gestell für ca. 150–200,– € umbaue.

Ich habe mein halbes Leben im Sitzen gelernt und gearbeitet – in der Schule, in Bibliotheken, im Hörsaal und am Schreibtisch zuhause. Nicht zu vergessen auf dem Klo. Fernstudi.net ist zwar nicht auf dem Klo, aber im Sitzen entstanden: im Sitzen programmierend, im Sitzen schreibend und im Sitzen sitzend. Irgendwann ging mir das Sitzfleisch aus, und die Puste, wenn ich den Wocheneinkauf hoch in den 3. Stock meiner Bude in Berlin-Friedrichshain zu schleppen hatte. Ständig geschwollene Beine und Füße, ganz zu schweigen von meiner schlaffen Körperhaltung, von Rücken- und Kopfschmerzen, von körperlicher und geistiger Schwäche. Ich will ja nicht sagen, dass mich das Sitzen völlig verweichlicht hat. Aber doch – jahrelanges Sitzen hatte mich völlig verweichlicht.

Irgendwann war klar, dass das alles im Sitzen nicht läuft, und ich lernte, im Stehen zu arbeiten. Erst fuhr ich zweigleisig – mal stand ich, die meiste Zeit saß ich noch. Das ist am Anfang wichtig, weil man, wenn man es nicht gewohnt ist, erst einmal ziemliche Schmerzen von den Füßen bis hoch in den Kopf bekommen kann, während der Bewegungsapparat sich umstellt. Mehr dazu weiter unten.

Was ist der Vorteil von Steharbeitsplätzen?

Was übermäßiges Sitzen mit euren Körpern macht:

  • Längere Zeit am Stück zu sitzen erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes etc. enorm [1],[2].
  • Sitzen ist nicht nur unangenehm für die Wirbelsäule, sondern auch für eure Organe, die ziemlich gequetscht und schlechter durchblutet werden. Eure Lungen und Herzen brauchen Platz, sonst funzen sie nicht. 
  • Sitzen erhöht die Gefahr, an einer Thrombose draufzugehen, das kennt ihr ja sicher von Langstreckenflügen. 
  • Ausdauer-Sitzen sorgt für einen unsportlichen Hintern :P

Wer es genau wissen will, liest diesen Beitrag, der viele Verweise auf Studien zum Thema enthält: Too Much Sitting: The Population-Health Science of Sedentary Behavior

Der große Vorteil am Arbeiten im Stehen ist für mich, dass ich kontinuierlich in Bewegung bleibe, trotz Büroarbeit. Wenn ich mal nicht weiterweiß oder mich nicht mehr konzentrieren kann, gehe ich einfach weg vom Schreibtisch an die frische Luft, oder ich dehne mich, ich springe auf meinem Trampolion rum und lifte danach ein paar Kilo Eisen auf der Hantelbank.

Durch die viele Bewegung bin ich durchblutet und durchlüftet, ich fühle mich besser und bin motiviert. Ich brauche keinen Fitnessclub mehr, und ich mache auch keinen zusätzlichen Sport im klassischen Sinne. Ich mache, wenn überhaupt, dann „Mikrosport”: 5 Klimmzüge, wenn mir danach ist, 15 Liegestütze, 10 Squats. Oder ich sprinte 2 min auf dem Trampolin um mein Leben. Oder ich verrenke mich 30 s lang in irgendeiner Yoga-Pose.  Und meistens spaziere ich einfach nur umher und denke dabei nach. Wie so ein Peripatetiker.

Steharbeitsplatz: Besser höhenverstellbar oder nicht?

Ich habe eine Weile in einer Werbeagentur gearbeitet. Dort hätte ich mich allerdings nicht einstellen lassen, wenn ich nicht einen Steharbeitsplatz bekommen hätte. Der Tisch, den ich dann dort bekam, was so einer, bei dem man elektrisch die Höhe verstellen konnte. Ich fand den eigentlich ganz gut. Zum Sitzen hatte ich so einen Kippel-Sitz-Hocker.

Beides zusammen ist eine gute Kombination für alle, die nach und nach aufs Arbeiten im Stehen umsteigen wollen.

Andererseits, und das habe ich im Büro auch beobachtet, neigen die meisten dann dazu, doch weiter im Sitzen zu arbeiten. Denn das Arbeiten im Stehen muss man sich erst einmal erarbeiten.

Tipps für den Umstieg auf einen Stehschreibtisch

Dadurch dass ihr fernstudiert und keine Vorlesungen oder Seminare habt, in denen ihr zwangsweise sitzen müsst, habt ihr den großen Vorteil gegenüber anderen Schülern und Studenten, dass ihr selbst entscheiden könnt, ob ihr im Stehen, im Liegen oder im Sitzen lernt und arbeitet.

Wenn ihr auch mehr im Stehen arbeiten wollt: Geht es langsam an.
© inevgin/Fotolia

Hier noch ein paar Tipps, falls ihr euch auch dafür interessiert, mehr Bewegung in euren Alltag zu integrieren und im Stehen zu arbeiten und zu lernen.

  • Wer nur 1 Stunde am Tag am Schreibtisch sitzt und surft und lernt, ansonsten aber viel Bewegung hat, viel frische Luft und viel Sonne, der hat es wahrscheinlich gar nicht nötig, am Stehpult zu arbeiten. Wer aber, wie ich, einen Job hat, der ihn häufig an den Schreibtisch und ins Büro zwingt, oder wer fernstudiert und fernlernt, der sollte ernsthaft überlegen, wie er seinen Arbeitsplatz „artgerechter“ gestalten kann; nicht zuletzt deshalb, weil die Arbeit oder das Lernen und Studieren so viel mehr Spaß machen können und nicht so verkopft sind. Wer körperlich fitter ist, wird auch kognitiv mehr leisten und effizienter studieren.
  • Es gibt super Stehschreibtische, die lassen sich elektrisch oder mechanisch hoch und runter fahren. Sicher eine gute Sache, wenn man sein Geld für solche Gadgets ausgeben will. Für mich war das nicht nötig. Einen Stehschreibtisch kann man sich mit einfachen Mitteln selbst bauen (siehe oben), und wer das nicht kann, der stellt einfach einen Tisch auf seinen vorhandenen Schreibtisch.
    Irgendwann will man eh nicht mehr sitzen, und dann braucht man auch keinen höhenverstellbaren Schreibtisch mehr. Wenn ich mal sitzen will, dann nehme ich meinen Laptop und hocke mich auf den Boden an ein Couchtisch.
  • Fangt langsam an und fahrt erst einmal zweigleisig. Der Bewegungsapparat braucht eine Weile, bis er sich ans Stehen und an die Bewegung gewöhnt. Ich hatte die ersten Wochen und Monate ganz nette Schmerzen, von Schmerzen in den Waden und Oberschenkeln bis hin zu Kopfschmerzen und steifem Nacken. Das geht vorbei. Am besten mit leichtem Yoga bzw. mit leichter Gymnastik kombinieren und langsam steigern.
  • Wenn ihr im Stehen arbeitet, müsst ihr unbedingt verstehen, wie eine normale, artgerechte, stabile Körperhaltung aussieht und sich anfühlt. Yoga und Mobility-Training helfen dabei. Wer sich da methodisch einlernen will: „Werde ein geschmeidiger Leopard. Die sportliche Leistung verbessern, Verletzungen vermeiden und Schmerzen lindern“ von Kelly Starret (kann ich empfehlen für alle, die sich viel bewegen, Kraftsport oder eine andere Sportart betreiben, gibt es auf Amazon). Auch von Starret: Sitzen ist das neue Rauchen: Das Trainingsprogramm, um lebensstilbedingten Haltungsschäden vorzubeugen und unsere natürliche Mobilität zurückzugewinnen (Amazon; habe ich nicht gelesen, weiß also nicht, ob es gut ist).
    Ich selbst habe etwa 3 Jahre gebraucht, um stabil, kräftig und beweglich zu werden. Wie lange das bei anderen dauert, hängt davon ab, wie fit und beweglich sie schon sind.
  • Ein kleiner Hocker am Stehschreibtisch kann für den Anfang hilfreich sein, um von Zeit zu Zeit das Gewicht etwas zu verlagern. Denn immer nur bewegungslos auf einer Stelle zu stehen, das ist auf Dauer kontraproduktiv wie stundenlanges Sitzen. Es kommt also weniger darauf an, ausschließlich im Stehen zu arbeiten, als vielmehr darauf, immer in Bewegung zu bleiben.

Was ist nun ein Peripatetiker?

Als „Peripatetiker” werden die Angehörigen der aristotelischen Schule bezeichnet. Einige Philologen leiten diese Bezeichnung vom Wort peripatein (= „umherwandeln“) ab, was von anderen Philologen natürlich bestritten wird (*rollt mit den Augen*). Den Überlieferungen zufolge haben die Peripatetiker viele philosophische Gespräche im „Umhergehen” geführt. Lief bei denen.

 

Kommentare

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  • Gast · vor 7 Jahren
    Guter Artikel, stellt ein handfestes Problem unserer Gesellschaft in den Blickwinkel.
    Im Januar habe ich noch bei meiner neuen Büroaustattung daran gedacht genau dies umzusetzen... die Liste an gesundheitlichen Nachteilen beim Sitzen sind lang: von verkürzten Muskeln und Sehnen bis zu Rückenschmerzen und Bandscheibenvorfällen.
    Aber die Preis waren dann etwas hoch für diese hochfahrbaren Tische ud so wurde es dann doch wieder ein ganz normaler Schreibtisch zum Sitzen. Aber mit einer Auflage für den normalen Schreibtisch ist das leicht machbar.

    Das Stehen bringt folgendes mit sich: man führt kleinste "Zappelbewegungen" aus. Beispielsweise wechselt man den Standfuß. Ähnlich wie beim Fernsehen so unterlässt man diese Bewegungen im Sitzen mit der Folge, dass in Summe dies zu Übergewicht führt.
    Leute mit Essstörungen beispielsweise essen oder lesen gern im Stehen, weil das mehr Kalorien verbraucht. Die werden im Kampf gegen die Magersucht von den Ärzten zum Sitzen aufgefordert. :-)

    Wie du schreibst ist die Abwechslung richtig - bei mir liegen die Hanteln auch neben den Bücherschränken, immer griffbereit. Weil eines sehr wichtig ist: die Abfolge von Anspannung und Entspannung. Also ich nehme deine Tipps als kleine Anleitung für die eigene Umsetzung :-)
    • Christian Wolf · vor 7 Jahren
      @Gast Marcus, danke für den Kommentar. Freut mich, wenn der Beitrag als Anleitung etwas hilft.

      Ich sage immer: Wenn man sich mehr bewegen oder einfach mehr Sport machen will, dann muss gar nicht beschließen, sich mehr zu bewegen. Also ade zu guten Vorsätzen und Neujahrs-Entscheidungen, die dann doch nicht durchgehalten werden.

      Stattdessen richtet man sich eine Umgebung ein, die einen quasi zwingt, sich mehr zu bewegen. Im Gegensatz zu den vielen Wohungen und Büros, die einen dazu zwingen, zu sitzen. Mikrosport ist das Stichwort, wie im Artikel erwähnt.
    • Gast · vor 7 Jahren
      @Gast Gewohnheiten ändern durch äußeren Zwang. :-)
      Die gleichen Umstände führen (meist) zum gleichen Verhalten...!

      Ich wehcsel ab und an die Position - das war mir beim jetzigen Büro wichtig. Dass Platz hinter mir ist und ich den Stuhl wegschieben kann. Gerade schreibe ich beispielsweise gebückt, dehen die Beine durch. So ein kleiner Kompromiss. Es gibt ja auch Bürogymnastik.

      Gerade wenn man nur liest oder nur Videos anschaut, kann man dies ja im Stehen machen. Das sind die kleinen Zwischenschritte zum Schreibtisch im Stehen... ich habe mir das jedenfalls beim nächsten Büro, das vermutlich schon dieses Jahr kommt, dann komplett zu ändern.
    • Christian Wolf · vor 7 Jahren
      @Gast Die gesündeste Büroarbeit ist gar keine Büroarbeit. Bürogymnastik macht doch keiner. Hier ist z.B. so, dass wenn Kids reinkommen, springen die als erstes auf dem Trampolin rum, oder rollen sich über den "Gymnastikball". Man muss sie gar nicht dazu zwingen. Das Angebot bestimmt die Nachfrage.
  • Gast · vor 7 Jahren
    Ja der alte Konflikt der Psychologie - innere Motivation vs äußeren Zwang :-) Piaget vs Skinner :-)
    In Englisch heißt es dann immer "nature vs. nurture" und darauf basieren dann vielfältige Diskusionen. Anlage und Umwelt.

    Die einen machen es weil die Umstände so sind, die anderen verändern die Umstände durch eigene innere Motivation.

    Was ein Standbüro aber auch mit sich bringt ist die fehlende Bequemlichkeit sich einfach auszuruhen. Man wird effektiver, meine ich - sonst sitzt man einfach herum, aber einfach so herumstehen ist weniger üblich.
    • Christian Wolf · vor 7 Jahren
      @Gast Ich laufe halt rum die ganze Zeit, und wenn ich mich ausruhen will, gehe ich schlafen oder lege mich eine halbe Stunde hin.

      Was ich im Artikel nicht erwähnt habe: Wichtig ist auch, was für Schuhe man trägt. Mit irgendwelchen globigen Haus- oder Straßenschuhen kann das Stehen auf Dauer auch unangenehm werden und Schmerzen und weitere Fehlhaltungen verursachen. Ich stehe entweder barfuß/in Strümpfen oder in Barfußschuhen. Hat aber auch 'ne Weile gedauert, bis das Barfußlaufen bequemer wurde, am Anfang ist es schon ne Umstellung.
  • alekom · vor 6 Monaten
    Ehrlich? Wenn ich nach der Arbeit in die Wohnung komme, einige Zeit später laufe ich immer Gefahr im Sitzen beim Pc einzunicken.
    Das kann wirklich nichts.

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